Placebo – Können Scheinmedikamente Reizdarm heilen?

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Schon vor einiger Zeit habe ich Placebo bzw. Nocebo in meinen Beiträgen erwähnt. Beim Umgang mit einem Blähbauch und beim Thema Affirmation. In letzter Zeit bin ich aber immer wieder über das Wort Placebo gestolpert. In meinen Augen wird es aber immer sehr negativ verwendet. Auch die Umfrage in meiner Instagram-Story zeigte, dass die meisten mit diesem Wort etwas Negatives verbinden. Aber wieso eigentlich? Schließlich beschreibt es doch irgendwie eine Heilung ohne Medizin. Sollte das nicht etwas Positives sein? Vermutlich verbinden die meisten damit aber eher das Wort „Scheinmittel“ was dann doch eher negativ behaftet ist.

Placebo - Wunderheilung oder Wunschdenken?

Damit wir hier auch über das Gleiche sprechen nochmal eine kurze Definition. Placebos dienen meist als Kontrollsubstanz in klinischen Studien. Sie beinhalten keinen Arzneistoff und dienen in Studien somit als „Nullgruppe“.[1] Der Vorteil ist, dass man so den Bias in Studien reduzieren kann, da die Vergleichsgruppe nicht vorher weiß, dass sie keine Medikamente bekommt. Das heißt durch ein Placebo können beide Patientengruppen beispielsweise Pillen bekommen, wobei nur die eine den eigentlichen Arzneistoff enthält. Wenn neben den Patienten, auch das Studienpersonal nicht weiß wer Wirkstoffe bekommt, dann nennt man das Doppelblindstudie.

Placeboeffekt wiederum bedeutet, dass trotz der Verwendung eines Placebos eine Verbesserung des Gesundheitszustandes entsteht.[1] Das Gegenstück ist der Nocebo-Effekt. Hier treten unerwünschte Wirkungen auf. Dies kann zum Beispiel sein, wenn bei einem Placebo eine Nebenwirkung auftritt. Zu Nocebo-Effekten gehört aber auch, wenn vermehrt Nebenwirkungen auftreten aufgrund der stärkeren Auseinandersetzung des Patienten mit den möglichen Nebenwirkungen eines Medikaments.[2]

Placebo-Effekt

Kann eine Zucker-Pille wirklich heilen?

Der Placeboeffekt ist bekannt, weil in Studien auch bei den Placebo-Gruppen vermehrt Verbesserungen des Gesundheitszustandes festgestellt wurden. In einer Meta-Studie wurde schon 1955 gezeigt, dass ca. 35% der Patienten positiv auf Placebos reagieren, also eine Verbesserung spüren.[3] Zur Erinnerung: Meta-Studie bedeutet man untersucht und vergleicht Studien unter einem Kontext. Ziel ist es zu überprüfen ob bei einer großen Zahl an Untersuchungen ein ähnliches Ergebnis auftritt.

Dies bedeutet, dass Placebos einen positiven Effekt auf den Patienten haben können, obwohl keine wirkliche Medizin enthalten ist. Man geht davon aus, dass der zugrundeliegende Effekt ein sehr komplexer bioneurologischer Mechanismus ist.[2] Hier spielen vermutlich Dinge wie Endorphin, Dopamin, aber auch die Aktivierung bestimmter Gerhinbereiche eine Rolle.[4]

Allerdings gibt es bisher noch keinen Nachweis, dass Placebos wirklich Krankheiten heilen können. So wurde zum Beispiel bei Krebs eine Besserung der Symptome wie Müdigkeit oder Schmerz gezeigt, aber z.B. keine Größenveränderung des eigentlichen Tumors. Ähnlich ist es z. B. bei Asthma. Auch hier wurden Verbesserungen der Symptome nachgewiesen, aber keine Erhöhung des Lungenvolumens.[2] Das heißt zum heutigen Zeitpunkt kann man mit Placebos zwar Symptome verringern aber keine wirkliche Heilung hervorrufen.

Könnten Placebos Reizdarm-Patienten helfen?

In diesem Beitrag habe ich darüber philosophiert, dass „gesund“ oder „heilen“ beim Reizdarm ein schwieriges Ziel ist. Grund ist, dass es oft keine wirkliche Diagnose gibt. Teilweise gibt es zwar versteckte Krankheiten wie z. B. SIBO, die die Symptome erzeugen, oft finden Ärzte aber keine Ursache. Somit haben viele von Reizdarm betroffene Menschen keine allgemein-medizinische Therapiemöglichkeit wie z. B. Medikamente. Mein Fazit war daher, dass eine Heilung in diesem Fall vor allem die Verminderung von Symptomen oder sogar die vollständige Heilung davon bedeutet. Wären demnach Placebos nicht ein guter Weg?

Eins der Probleme an Placebos ist bis heute allerdings, dass man die Vermutung hat, dass Placebos vor allem dadurch funktionieren, dass die Menschen von einer medikamentösen Behandlung ausgehen. Das heißt, dass diese Verbesserung nur durch Betrug funktioniert. Ein Grund warum Ethik mittlerweile auch eine große Rolle spielt. Daher bedarf es noch einer Menge an Forschung und vor allem auch Kreativität, um eine Lösung zu finden dies zu untersuchen und trotzdem offen und ehrlich mit den Patienten zu kommunizieren. Besonders dann, wenn man Placebos wirklich als Heilungsweg nutzen möchte.[2]

Letzteres wurde aber tatsächlich schon bei Menschen mit Reizdarm-Symptomen, aber auch zum Beispiel bei Depression untersucht.[5,6] Hier ist man offen damit umgegangen und hat den Studienteilnehmern gesagt, dass diese nur ein Placebo erhalten. Es wurde somit keine Behandlung vorgetäuscht. Während die eine Gruppe eine Placebo-Tablette (z. B. Zucker-Pille) bekam, wurde die andere Gruppe gar nicht behandelt. Das heißt sie bekam weder eine Zucker-Pille, noch ein Medikament. Bei der Placebo-Gruppe existiert nun der psychologische Effekt einer vorgetäuschten Behandlung nicht. Trotzdem wurde im Falle vom Reizdarm eine signifikante Verbesserung mit den Placebos erreicht, im Vergleich zu der Kontrollgruppe.[5] Diese Verbesserung trat sogar bei 59% der Patienten auf, was höher ist als die üblichen 35% bei der Placebo-Gruppe in Doppelblindstudien.

Stress dich nicht!

Ich möchte hier auch nicht postulieren, dass der einzige Weg die Selbstheilung ist, ob nun durch Placebo, Affirmation oder Definition. Mittlerweile habe ich nämlich gelernt, dass das für einige auch sehr viel Druck bedeutet, wenn ihnen gesagt wird, dass sie ihre Heilung alleine in der Hand haben. Ich wollte in erster Linie zeigen, dass Placebo ein super interessantes Forschungsgebiet ist und nicht nur das negativ behaftete Wort, was viele darin sehen. Es zeigt zudem denen einen Weg auf, die wie ich damals nach ewigen Arztbesuchen und fehlender Hoffnung auf eine Diagnose in erster Linie ihre Lebensqualität wieder haben wollen.

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