Leben mit Reizdarmsyndrom: Ein Gedankenexperiment für Freunde

Lesedauer: 4 Minuten

Vor einigen Jahren, es muss so zu Beginn des zweiten Schubs gewesen sein, hatte ein Freund mir von der Löffel-Theorie erzählt. Er hatte immer mit Migräne zu kämpfen, wodurch er eines Tages diese Theorie kennen lernte. Er meinte, dass er damit auch mich endlich besser verstehen kann. Trotz unseres engen Kontakts und die Begleitung meiner Leidensgeschichte „Reizdarmsyndrom“, war das bis dahin anscheinend nicht so einfach. Seitdem habe ich auch keine bessere Art kennen gelernt, eine Krankheit zu erklären, die man von außen nicht oder nur sehr selten sieht. Besonders dann können Menschen oft nicht nachvollziehen was diese Situation für einen bedeutet. Standst du auch schon einmal vor dem Problem zu erklären, wieso du weniger Zeit oder Kraft hast? Versuch es doch mal mit der Löffel-Theorie!

Wie erklärt man Freunden den Einfluss eines Reizdarmsyndroms?

Die Löffel-Theorie ist eigentlich weniger eine Theorie, sondern mehr ein Gedankenexperiment. Sie wurde 2003 zum ersten Mal im Internet veröffentlicht.[1] Die Erfinderin ist die Bloggerin Christine Miserandino. Sie entwickelte eines Abends für ihre Freundin die Löffel-Theorie („Spoon-Theory“), um ihr besser zu erklären, wie es ist mit Lupus zu leben. Obwohl die Freundin sie schon so lange und intensiv begleitete, schien sie bis dahin nicht wirklich zu verstanden zu haben, wie es sich wirklich anfühlt. Nicht körperlich, sondern vor allem psychisch. Nachlesen kann man darüber auf ihrem Blog „But you don’t look sick“. [2] Dies bedeutet übersetzt so viel wie „Aber du siehst nicht krank aus“. Sie scheint also auch teilweise „zu gesund“ auszusehen, sodass Menschen ihre Krankheit oder Einschränkungen nicht nachvollziehen können.

Leben mit Reizdarmsyndrom: Loeffelchen-Theorie

Reizdarmsyndrom: Essen und Stress kosten Löffel.

In meinem Fall sah ich auch immer gesund aus, doch fühlte ich mich oft ganz und gar nicht so. Wie erklärt man aber einer Person, die kerngesund ist, aber was eine Krankheit für einen bedeutet? Einer Person, dessen Körper es egal ist, ob der Abend aus Cocktails und Fast Food besteht oder aus einer gesunden Bowl und Kräutertee. Hier kommt die Löffel-Theorie zum Tragen. Das Gedankenexperiment versetzt Leute in eine Lage, in der sie über ihre Ressourcen nachdenken müssen. Je nach Krankheit kann die Ressource, Energie oder eben auch Darmempfindlichkeit sein. Dies wird erreicht, in dem man mit der Person einen Tag durchgeht und ihr zuvor eine bestimmte Anzahl an Löffeln gibt. Im Laufe des Tages muss die Person nun Löffel für Tätigkeiten abgeben. Damit wird ihr bewusst, dass sie nicht einfach in den Tag leben kann, wie eine gesunde Person es tut. Man muss planen, überlegen und abschätzen, wie viele Löffel man für den Tag noch hat.

Der Vorteil der Flexibilität der Löffel-Theorie ist, dass man dabei frei entscheiden kann wie viele Löffel man der Person gibt und für welche Tätigkeiten man einen Löffel wegnimmt. So kann man den Einfluss äußerlich unscheinbarer Krankheiten jeglicher Schwere deutlich besser vermitteln. Bei Lupus kostet beispielsweise schon das morgendliche Klamotten Anziehen mindestens einen Löffel. Im Falle des Reizdarmsyndroms wiederum können Löffel zum Beispiel für Zutaten weggenommen werden, die man nicht verträgt. Zusätzlich können auch stressige Situationen oder Anspannung einen Löffel kosten. Schließlich führt dies meist zu einem empfindlicheren Darm.

Das Ergebnis von unvorsichtiger Löffelverschwendung sind dann Schmerzen oder Durchfall.

Heute fühle ich mich nicht mehr krank, doch in diesem Konzept ist letztlich nur die Anzahl der Löffel drastisch gestiegen. Nun sind die Löffel eher auf eine Woche verteilt und nicht auf einen Tag. Für einen normalen Lebensstil habe ich mehr Löffel als nötig. Doch trotzdem muss ich überdenken was ich wann tue. Will ich heute ein Stück Kuchen mit der Familie essen oder am Wochenende mit Freunden in die Pizzeria? Schafft mein Darm vielleicht sogar beides? Ich habe des erst vor kurzem gemerkt, als ich durch so viele Besuche von Freunden und Familie, innerhalb von zehn Tagen bestimmt fünf Mal Essen war. Da gab es mal Pizza, mal Käsespätzle oder andere Leckereien. Zusätzlich kamen dann noch Kuchen oder Kaiserschmarn dazu. Im veganen Restaurant gab es Currywurst, natürlich auf Saitan-Basis, also mit Gluten.

Da meldete sich selbst mein Magen irgendwann. Es ist eben einfach nur Löffel zählen, doch heute habe ich bestimmt zehn Löffel für eine Woche anstatt früher teilweise null. Jeder Löffel umschreibt ein Gericht, welches nicht vegan und glutenfrei ist. Stress oder Anspannung haben kaum noch einen Effekt, doch früher kostete auch das einen Löffel.  Wie du siehst, kann man damit auch erklären, wieso dies immer ein Teil von mir sein wird, auch wenn es sich heute nicht mehr nach einer Einschränkung anfühlt.

Ein Reizdarmsyndrom zu haben ist sicherlich etwas ganz anderes als mit Lupus leben zu müssen. Doch Christine selbst schreibt am Ende ihrer Geschichte, dass sie glaubt, dass diese Theorie nicht nur gut ist um anderen Menschen ihr Leben zu erklären, sondern auch für jede Behinderungen oder Krankheiten genutzt werden kann. In meinen Augen, hilft dieses Gedankenexperiment aber auch ganz allgemein andere besser zu verstehen und auch seine eigene Gesundheit mehr wertzuschätzen

Reizdarmsyndrom ist keine Ausrede, sondern kann sehr viel Kraft kosten.

Ich bin eine sehr positive Person, sodass ich meist weder krank aussah noch groß darüber jammerte. Es gab also nur immer Mal eine Absage oder zu sehr schlimmen Zeiten die Aussage, dass ich Ruhe bräuchte oder nicht weggehen kann. Ich war pingelig beim Essen oder wollte sowieso bei niemand anderem essen, geschweigen denn in ein Restaurant essen gehen. Von außen betrachtet mag es also rübergekommen sein, als nutze ich nur gerne eine Ausrede. Als sei mein Darm der Joker, damit ich unbeliebte Verabredungen absagen kann.

Doch so war es nie und das kann ich mittlerweile dank Löffel-Theorie auch sehr gut erklären. Daher mein Tipp: Menschen in die Situation zu versetzen, hat häufig einen viel größeren Effekt, als ihnen nur zu beschreiben, wie du dich fühlst. Lass die Person also lieber selbst fühlen und mach mit ihr dieses Gedankenexperiment. Falls du es gemacht hast, würde ich mich über deinen Erfahrungsbericht freuen, egal ob Reizdarmsyndrom oder etwas ganz anderes. Ich bin gespannt. Schreib mir gerne per Mail, in den Kommentaren hier oder bei Instagram.

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