Ich habe vor kurzem mit meinen Eltern über meine Geschichte gesprochen und wir kamen darauf, dass ich tatsächlich in meiner Pubertät schon mal Probleme hatte. Damals hatte ich, laut Arzt, eine Laktoseintoleranz. Also eine Unverträglichkeit gegen Milchzucker. Diese ist aber anscheinend nach ungefähr ein bis zwei Jahren wieder genauso unerklärlich verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Die genaue Zeitspanne kriegt keiner mehr zusammen. Woran wir uns aber alle erinnern ist der drastische Unterschied in der Auswahl im Vergleich zu heute. Pubertät heißt übrigens so ca. zwischen 2002 und 2004.
Damals gab es keine laktosefreien Produkte, wie man sie heute in allerlei Vielfalt findet. Mittlerweile gibt es laktosefreie Butter, Milch, Schokolade, Quark, Frischkäse und vieles mehr. Man muss also nicht mal Laktase-Tabletten schlucken, sondern kann direkt entspannt die von der Industrie vorgespaltenen Produkte zu sich nehmen.
Früher gab’s Kuhmilch – heute Milch aus Reis, Mandel, Soja, Haselnuss, Cashew, Erbse, …
Kurzer Einschub: Was ist Laktoseintoleranz?[1]
Laktoseintoleranz bedeutet, dass der Person das Enzym Laktase fehlt bzw. weniger davon produziert wird. Dieses Enzym spaltet den Milchzucker Laktose. Dadurch das ein laktoseintoleranter Mensch weniger oder keine Laktase zur Verfügung hat, wird der Milchzucker von den Bakterien im Darm verarbeitet. Dabei entsteht Gas und damit Blähungen. Gleichzeitig entstehen auch noch andere Abbauprodukte, wie Flüssigkeit oder kurzkettige Fettsäuren, wodurch auch Übelkeit oder Durchfall als Symptome entstehen. Menschen haben dadurch also eine Unverträglichkeit gegen Milchprodukte.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Früher gab es weniger Auswahl. Die Alternative für Laktoseintoleranz war damals also nur Soja-Produkte zu verwenden. So spezielle Milchsorten wie Hafer, Mandel, Reis und Co. gab es nämlich auch nicht. Sojamilch haben wir dann doch nach langem Suchen in einem speziellen Bio- oder Naturkost-Laden gefunden. Hier gab es aber quasi nur eine Sorte, keine gefühlten fünf Marken mit je drei Geschmacksrichtungen. Es war simpel. Andere Dinge wie Quark, Schokolade oder Frischkäse gab es nicht. Joghurt vielleicht schon, aber wenn genauso schmackhaft (Ironieschild oben) wie die Milch. Damals, zumindest meiner Erinnerung nach, schmeckte die Milch nämlich noch sehr stark nach Soja. Ich habe also damals einfach die ganze Zeit komplett auf jegliche Milchprodukte verzichtet, denn die Pflanzenmilch von damals habe ich einfach nicht runter bekommen.

Woher kommt der Wandel? Tatsächlich mehr Unverträglichkeiten oder Hype der Industrie?
Heute sieht das ganze wie gesagt anders aus. Schon öfters habe ich mich gefragt, wieso die Produktvielfalt in diesem Bereich so drastisch gestiegen ist. Damit meine ich nicht nur die große Anzahl an laktosefreien Produkten, sondern auch die Auswahl für vegane Milch- und Joghurtalternativen, sowie die breite Palette an glutenfreien Produkten. Liegt es wirklich daran, dass durch unsere heutige Ernährung die Anzahl an Unverträglichkeiten und Allergien steigt?
Sind wir einfach nur größere Weicheier als unsere Großeltern? Ist die Industrie einfach auf einen Hype aufgesprungen, weil jemand mal die Aussage „Milch ist Gift“[2] oder „Weizen ist Gefährlich“ getätigt hat? Für letzteres gibt es sehr viele Berichte im Internet, wenn man zum Beispiel das Wort „Paleo“ hinzufügt. Die Zitate spare ich mir daher mal. Schließlich kann man in beiden Fällen wohl sagen, dass beide Lebensmittelgruppen ohne Allergie oder Unverträglichkeit keine Probleme machen. Zumindest bei ausgewogener Ernährung.[3]
Wie schaut aber die Datenlage beim Thema „Allgergiezunahme“ aus? Googlen führt auch hier zu einigen Beiträgen, die klar behaupten, dass Allergien zunehmen.[4,5] Sinnvolle Quellenangaben findet man hier allerdings nicht. Das Spektrum benennt als eine der Ursachen neben der tatsächlichen Zunahme, unter anderem auch die erhöhte Präsenz bei uns Menschen. Ein Punkt der in meinen Augen durchaus relevant ist. Trotzdem glaube ich, dass viele doch sehr starke Symptome auch früher nicht ignoriert werden konnten. Gibt es nun also diesen besagten Anstieg? Klarer lässt sich das beim Thema Allergien beantworten. Unverträglichkeiten sind anscheinend deutlich weniger untersucht.
RKI: „Jede Verharmlosung des Problems verbietet sich angesichts der dokumentierten Situation“
Das Statement vom RKI ist klar: „Volkskrankheit“.[6] In dem Positionspapier zum Thema Allergien in Deutschland aus dem Jahre 2016, wird klar, dass das RKI die derzeitig hohe Anzahl an Sensibilisierungen und Allergien kritisch sieht. Allerdings wird ein Anstieg vor allem bei Asthma und Inhalationsallergenen gemessen. Zu letzteren zählen zum Beispiel Pollen, also Heuschnupfen, aber auch die Allergie gegen Hausstaubmilden. Mein Fokus liegt aber, natürlich durch mein Thema Reizdarm, eher auf Nahrungsmitteln. Haben hier Allergien und Sensibilisierungen zugenommen? Laut RKI blieben hier die Zahlen in den letzten 15 Jahren nahezu unverändert.
Ein Review von Isabel Skypala und Berber Vlieg-Boerstra differenziert hier allerdings nochmal mehr.[7] Der Fokus des Reviews liegt genau auf dem Thema Nahrungsmitteln und der Frage wie sich Unverträglichkeiten und Allergien die letzte Zeit verändert haben. Sie sagen, dass zwar die Inzidenz gleich bleibt, aber die Prävalenz ansteigt. Inzidenz kennen wir mittlerweile nun alle von Corona, es ist die Anzahl – genauer gesagt eigentlich die relative Häufigkeit – an Neuinfektionen. Im Falle von Allergien also die Anzahl an Personen, welche in einer bestimmten Zeit eine Allergie entwickelt haben. Die Prävalenz hingegen bezeichnet die Anzahl an Personen die Allergien zu einem bestimmten Zeitpunkt haben. Nicht nur das erste Auftreten zählt hier, sondern die allgemeine Anzahl von Menschen mit Allergien, egal wie lange diese schon besteht. Das bedeutet, dass zwar bei Untersuchungen die Menge an Personen die eine Allergie entwickeln stabil ist. Trotzdem aber insgesamt mehr Menschen in Deutschland an Allergien leiden. Die Frage ist: Wieso?
Ist die westliche Ernährung schuld?
In den Augen von Isabel Skypala und Berber Vlieg-Boerstra spielt die westliche Ernährung eine große Rolle.[7] Mit westlicher Diät werden in dem Review z. B. Fleisch, zuckerhaltige Getränke oder auch verarbeitetes Getreide verbunden. Die Daten scheinen hier Hinweise darauf zu geben, dass die Industrialisierung und damit vor allem die westlichen Nationen verstärkt Probleme aufweisen. So weisen zum Beispiel auch Chinesen aus Hong-Kong, also einer Großstadt, mehr Allergien auf als Chinesen aus ländlicheren Gegenden. Im Gegensatz zu ländlichen Regionen hat die Ernährung sich in der Großstadt stärker verändert und mehr der beschriebenen westlichen Ernährung angeglichen.
Die Vermutung liegt also nahe, dass unsere heutige Ernährung einen großen Anteil hat. Wie schon vom RKI im Positionspapier geschrieben, sind hier aber noch dringend weitere Forschungen nötig. Nicht nur um diese Frage abschließen zu klären, sondern auch um mögliche Wege gegen den Anstieg zu finden.
Für mich zeigt dies wieder, wie wichtig es ist auf seine Gesundheit zu achten. Hiermit meine ich nicht nur die Ernährung, sondern auch die Ruhe und Zeit für sich. Zum anderen kann ich nur sagen, dass ich selbst dankbar bin für die unglaubliche Auswahl die sich mir mittlerweile bietet. Die Dinge sind häufig immer noch teuer und die Inhaltsstoffe manchmal nicht weniger gruselig, aber sie eröffnen Menschen mit Unverträglichkeiten oder Allergien Möglichkeiten. Sie machen es zudem Menschen einfacher, sich vegetarisch zu ernähren, obwohl sie gerne Fleisch essen. Somit bin ich dankbar, dass sich in den letzten 15 Jahren einiges getan hat. Wie siehst du das? Überfordert dich die Auswahl, nervt sie dich vielleicht sogar oder bist du dankbar?
[1] https://www.gesundheitsinformation.de/laktoseintoleranz-milchzucker-unvertraeglichkeit.html (Stand 21.11.2021)
[2] https://www.youtube.com/watch?v=0vCAIpdMVsY (Stand 21.11.2021)
[3] https://doi.org/10.1111/nure.12153
[4] https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Warum-nehmen-Allergien-zu,allergien148.html (Stand 21.11.2021)
[5] https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/allergien-auf-dem-vormarsch/423 (Stand 21.11.2021)
[6] https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/UmweltKommission/Stellungnahmen_Berichte/Downloads/allergien_deutsch.pdf?__blob=publicationFile (Stand 21.11.2021)
[7] https://doi.org/10.1097/MCO.0000000000000086